„Der Verzicht auf Gewalt und der Gebrauch von Gewalt lassen uns schuldig werden“

Am 3. Mai sprach Pfarrer Nikolaus Schneider in Moers über die Friedensethik der Ev. Kirche

[Kirchenkreis Moers] „Frieden schaffen – doch mit Waffen? Trägt die Friedensethik der Evangelischen Kirche noch?“ –  über diese Fragen sprach Pfarrer i. R. Nikolaus Schneider am 3. Mai 2022 in der Ev. Stadtkirche in Moers. 140 Personen hörten einen Vortrag, der nicht nur die Linien der Denkschrift der Ev. Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Jahr 2007 nachzeichnete, die sich zwar dem gerechten Frieden verpflichtet, aber Krieg als Ultima Ratio, als letzte Möglichkeit, unter genau festgelegten Bedingungen zur Notwehr nicht ausschließt. Hinsichtlich des Krieges in der Ukraine und Waffenlieferungen könne die Kirche nicht Handlungsanweisungen vorgeben, wohl aber Leitgedanken – und danach sei jeder und jede Einzelne gefordert, sich zu positionieren. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein – der Preis für dieses Bekenntnis ist in Kriegszeiten ein nicht aufzulösendes Dilemma: Der Verzicht auf Gewalt und der Gebrauch von Gewalt lassen uns schuldig werden […].“  Eine konträre Diskussion schloss sich dem Vortrag an.

Wird ein solcher Friede dann ein ‚guter‘ sein?

Die Frage nach der Friedensethik stelle sich mit dem Krieg in der Ukraine neu. „[…] wir werden konfrontiert mit realpolitischen Forderungen und Konsequenzen, die für uns ganz neu das Fragen nach einem ‚richtigen‘ und einem ‚guten‘ Entscheiden und Handeln in Kriegszeiten aufwerfen“, sagte der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende. Sei es also richtig und gut, den Angegriffenen Waffen zu liefern, auch schwerere, selbst wenn der Angreifer Atomwaffen besitze? „Wird ein solcher Friede dann ein ‚guter‘ sein – also ein nachhaltiger und ein gerechter Friede?“

Biblische Friedensvision „Schwerter zu Pflugscharen“

Die Friedensdenkschrift hatte seinerzeit einen Paradigmenwechsel vollzogen. Mit der Lehre vom gerechten Frieden habe sich die Denkschrift vom Gedanken eines gerechten Krieges abgegrenzt. Inspiriert durch die biblische Friedensvision „Schwerter zu Pflugscharen“ sollten weniger Waffen, Abrüstung und Abbau der vorhandenen Waffenpotenziale den gerechten Frieden herbeiführen und erhalten.
Gerechter Frieden heiße Vorrang der Politik vor dem Militärischen, Betonung von Versöhnung und Verständigung, Gestaltung einer vernünftigen Weltfriedensordnung, Verbesserung der weltweiten sozialen Gerechtigkeit, insbesondere die Bekämpfung von Armut, Hunger, Not und Elend sowie Entwicklung der Friedensforschung und Bildung und Erziehung zum Frieden.

Ultima Ratio gebunden an strikte Bedingungen

Allerdings: „Die Friedensdenkschrift der EKD hält militärische Gewalt und damit Krieg als Ultima Ratio für denkbar, wenn es dafür einen Rechtsrahmen gibt, d.h. eine Erlaubnis oder ein Mandat der Vereinten Nationen.“ Die „rechtserhaltende Gewalt“ dürfe nur zur unmittelbaren Selbstverteidigung eingesetzt werden, als ‚Notwehr‘. Dazu gehöre auch Nothilfe gegen drohende Genozide oder im Falle schwerer, massiver, systematischer Menschenrechtsverletzungen. Die Mittel für diese Gewalt müssten nach der Denkschrift verhältnismäßig sein, die Interventionsstrategie ausgearbeitet und der Zeitrahmen hinsichtlich Ausstiegsszenarien und Aufbauarbeit realistisch.

‚Zeitenwende‘ der Politik Präsident Putins gegenüber, nicht der Friedensethik

„Erweisen sich also die Bindung unserer Friedensethik an biblische Friedensvisionen gegenwärtig als unbrauchbar für Orientierung und Wegweisung im realpolitischen Handeln? Führt der Weg, militärische Gewalt mit den Mitteln des Rechtes binden zu wollen, in die Irre? […] Fordert der Ukraine-Krieg eine ‚neue‘ Sicherheitsordnung und eine ‚neue‘ evangelische Friedensethik unter dem Leitprogramm: ‚Frieden fördern, erhalten und schaffen mit immer mehr und immer schwereren Waffen?‘ Ich sehe das nicht so. Und ich verstehe den 24. Februar 2022 zwar als ‚Zeitenwende‘ der Politik Präsident Putins gegenüber, nicht aber als ‚Zeitenwende‘ für unsere evangelische Friedensethik“, sagte Schneider (?).

Verantwortung vor Gott und der Welt

Mit Verweis auf den Theologen Dietrich Bonhoeffer wies Schneider darauf hin, dass christliche Ethik nicht zu allgemeingültigen, überzeitlichen Normen und damit zu einer eindeutigen und widerspruchsfreien Realpolitik führen kann. „Eine auf Christus bezogene Ethik hält vielmehr das Fragen der Menschen nach Gottes Wort bezogen auf bestimmte Sachfragen oder Problemzusammenhänge offen. […] Eine Friedensdenkschrift der EKD ist also nicht so etwas wie ein Handbuch für ‚richtiges‘ und ‚gutes‘ Reden, Entscheiden und Handeln in Kriegszeiten.
Sondern sie ist eine geistige und geistliche Auseinandersetzung, die in Verantwortung vor Gott und der Welt zu eigenverantwortlichem Handeln von Menschen – auch in Regierungsverantwortung – befähigen will. Für ein solches Handeln gilt immer die Einsicht: ‚Die Wahrheit ist konkret!‘ Und ein solches Handeln hat immer auch Wagnis-Charakter. Und es kann deshalb im Rückblick auch als ‚irrtümlich‘ und ‚falsch‘ erkannt und gewertet werden.“

Keine einstimmige theologisch-ethische Bewertung von Waffenlieferungen

Insofern könne es keine einstimmige theologisch-ethische Bewertung von Waffenlieferungen in die Ukraine für alle geben. „Einzelne Christenmenschen werden hier zu unterschiedlichen Antworten kommen.“ Er selbst plädiere für eine bedingte Zustimmung zu militärischer Gewalt. Er zeigte sich dankbar, dass auch die Politikerinnen und Politiker ihre Entscheidungen sehr genau abwägen und in der deutschen Gesellschaft keine Kriegsfreude herrscht. „Mit Irritation nehme ich allerdings den gegenwärtigen Wettlauf darum wahr, wer schneller Waffen liefert und wer die schwereren Waffen liefert – bis hin zur Forderung nach dem Eingreifen der NATO.“
Der Vorrang des Friedens gelte nach wie vor. Allerdings ist gerechter Friede immer auch Wagnis, gerechter Friede sei nicht mit Sicherheit gleichzusetzen.

Nur an Waffen glauben?

In der anschließenden Diskussion wurde unter anderem kritisiert, dass es zum „gerechten Frieden“ nicht passe, wenn durch die immensen finanziellen militärischen Anstrengungen Ungerechtigkeiten an anderer Stelle produziert würden. Schneider betrachtete es als Aufgabe der Kirche, darauf zu achten, dass die Politik das Geld nicht im sozialen Bereich einspare. Ob es nicht eine Glaubenskrise sei, nicht mehr den Mut aufzubringen, an anderes als an Waffen zu glauben, wurde gefragt. Alternative Überlegungen, wie sie im Rahmen der Friedensarbeit des Konziliaren Prozesses der letzten Jahrzehnte angestellt worden sind, seien kaum noch im Blick.
„Wir haben einen breiten Baukasten“, erwiderte Schneider, „Aber wir müssen schauen, wann was dran ist. Ich glaube nicht an Waffen, dass das klar ist.“ Er beziehe seine Position nach „ bestem Vermögen und schon in dem Bewusstsein, dass ich mich hier in einer Weise äußere, die ich einmal zu verantworten habe, wo ich nur hoffen kann, dass ich dann auch wirklich Gnade finde, aber wo ich jetzt auch klar Schuld auf mich nehme.“

 

  • 4.5.2022
  • Pressereferat Kirchenkreis Moers
  • Red