Pressemitteilung

Superintendentin hält Gottesdienst in Bahnhofsmission

  • 22.12.2022

Am 24. Dezember feiert Superintendentin Dr. Barbara Schwahn um 10.30 Uhr einen Gottesdienst in den Räumen der Bahnhofsmission an Gleis 1 auf dem Krefelder Hauptbahnhof. Im Anschluss geht es weiter zu den Gästen im Tagesaufenthalt Lutherstraße.
Hier ihre Weihnachtsansprache – in der Bahnhofsmission und in der Notschlafstelle Lutherstrasse an Heiligabend

Lied: EG 30 Es ist ein Ros entsprungen

„…mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht.“ Vielleicht sind Sie eben beim Singen auch an dieser Zeile hängengeblieben. Mir sind die Worte jedenfalls eingefallen, als ich mir überlegt habe, welchen Gedanken der Weihnachtsgeschichte ich dieses Jahr auslegen möchte. Da war er: Weihnachten wird es mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht. Das ist es doch, was dieses Jahr mehr Menschen denn je beschäftigt, die Kälte und die Dunkelheit. Die Sorge, im Dunkeln sitzen zu müssen und zu frieren wegen der hohen Energiekosten und dass es vielleicht sogar zu einem Stromausfall kommen könnte und man sich dann nicht mal mehr eine Suppe warmmachen kann. Aber davon muss ich und kann ich vielen von Ihnen hier nichts erzählen. Diese Not ist für Gäste der Bahnhofsmission (hier in der Lutherstrasse) nicht nur eine Sorge, sondern harte Wirklichkeit, jeden Tag, Jahr für Jahr. Härter als für alle, die ein Dach überm Kopf haben. Sie macht aber gleichwohl, wenn auch auf einem anderen Level, in diesem Jahr einer größeren Zahl von Menschen auch in unserem Land zu schaffen. Und im übertragenen Sinn auch, dass die Krisen und Weltprobleme so gar kein Ende nehmen. Kein Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen. Und die Enttäuschung ist da, nach den beiden Corona-Jahren jetzt womöglich zum dritten Mal Weihnachten mit Einschränkungen und in deprimierter Stimmung feiern zu müssen. Dabei kommen wir vielleicht dem Ursprung von Weihnachten durch die Einschränkungen näher denn je. Gott ist eben nicht im mollig geheizten Weihnachtszimmer, mit prasselndem Kaminfeuer, Geschenkebergen und blinkenden Baumkerzen zur Welt gekommen, beim Festessen im Kreis der Familie. Diese uns so lieb gewordenen Traditionen haben heutzutage das Zeug, uns die eigentliche Weihnachtsbotschaft zu verstellen.

Und die muss ich und kann ich Ihnen heute ausrichten, die Botschaft der biblischen Weihnachtsgeschichte: Der Stall mit dem neu geborenen Christuskind ist zuallererst Zufluchtsort, sicherer Hafen, für Wohnungslose, für das junge Paar ohne Herberge und die Hirten, die am Rande der Stadtgesellschaft im Freien leben. Sie erleben das Licht des Sterns und die vier Wände als Schutz vor der Kälte als besonders wohltuend. Und im übertragenen Sinn die Wärme und Hoffnung, die das Kind ausstrahlt in die Kälte und Härte hinein, die sie sonst erleben. Zu ihnen ist Gott in dem Kind gekommen, extra, „mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht“.

Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen„, das genau das betont, möchte ich Ihnen noch ein bisschen näher bringen.

Ursprünglich war es ein Kinderlied, es singt sich ja auch sehr leicht. Die Melodie ist volkstümlich, vermutlich haben es fahrende Sänger auf Marktplätzen zum Besten gegeben. Und es kommt nicht von ungefähr, dass es ab und zu auch verballhornt wird: Es ist ein Ross entsprungen aus einem Pferdestall. Was das mit der Rose und der Wurzel auf sich hat, hat ja schon damals nicht jedem, schon gar nicht Kindern, eingeleuchtet. Es könnte ein Rätsellied sein. Die erste Strophe beschreibt, was zu erraten ist: Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart. Wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art. (Mit Jesse ist der Stamm des Isai, also der Stammbaum Jesu gemeint.) Was könnte das sein? Dann die Antwort im zweiten Vers: Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt das hat gebracht alleine Marie, die reine Magd. Also die Rose, die da aus einer Wurzel ausgetrieben ist, soll das Christuskind in der Krippe sein, Gott, der in die Welt gekommen ist.

Am wahrscheinlichsten ist, dass das Lied 1587 ein Karthäusermönch geschrieben hat, ein Bruder Conradus aus Trier. Die Karthäuser waren ein strenger Schweigeorden. Die Mönche lebten in kleinen Häuschen aus zwei kleinen Räumen, Essen bekamen sie durch eine Klappe, die ganze Woche über sahen sie niemanden. Aber: Jede Mönchszelle hatte ein eigenes kleines Gärtchen, wo die Mönche Gemüse, Heilkräuter und auch Blumen anbauten. Das Lied könnte so entstanden sein: Bruder Conradus sitzt in seiner Zelle und schweigt. Es ist Weihnachten. Er sieht aus dem Fenster, es schneit. Er geht in sein Gärtlein und als er sich zum Rosenbeet umdreht, leuchtet ihm dort eine rote Rose aus dem Schnee entgegen. Es ist kalt, er geht zurück in seine Zelle und er erinnert sich an Verse aus dem Buch Jesaja und schreibt dazu sein Lied.

Bei Jesaja steht: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Spross hervor. Ein Trieb aus seiner Wurzel bringt neue Frucht. Auf ihm ruht der Geist des Herrn… Er ist gerecht und sorgt dafür, dass die Schwachen zu ihrem Recht kommen, er ist aufrichtig und trifft Entscheidungen zugunsten der Armen im Land.“ Also ein König, anders als alle Könige, die Bruder Conradus kannte und anders als die Aggressoren, die wir kennen. Aus dem Spross oder dem Reis nach Luther wird also die Rose, die mitten im Winter aufblüht. Diese Verheißung bei Jesaja sahen Christen später in der Geburt des Christuskindes erfüllt.

Dieser Mönch konnte also schon sehr authentisch dichten von der Geburt des Gotteskindes mitten im kalten Winter.

Die halbe Nacht kommt daher, dass die Geburt auf den Tag der Wintersonnenwende datiert wurde. D.h. ab dem Tag der Geburt begannen die Tage wieder länger zu werden, also sie fand genau an diesem Scheitelpunkt statt, ab dem es wieder heller wurde. Aus einem toten Baumstumpf entsteht wieder Leben, das Dunkel verzieht sich allmählich und es wird wieder hell. Grund genug, optimistisch zu sein und daran zu glauben, dass Gott mit der Geburt des Kindes unsere Dunkelheit und Kälte verwandeln kann. Denn Bruder Conradus hat seine Hoffnung ja nicht aus der Natur gewonnen, sie war ihm Sinnbild für die Hoffnung, die durch das Christuskind in die Welt gekommen ist und kommt, alle Jahre wieder.

Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsternis. Wahr Mensch und wahrer Gott hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.

Conradus hat in seiner Zelle sicher im Winter bitterlich gefroren. Außer vielleicht einer Kerze gab es kein Licht. Und ich bin sicher, auch wenn er die Einsiedelei selbst gewählt hat, hat er sich auch einsam gefühlt. Insofern wusste er wirklich, wovon er dichtet. Und die Kälte steht natürlich auch im übertragenen Sinn für die Kälte zwischen Menschen. Und die Dunkelheit steht für all die Schatten, die über unserem Leben liegen. Tröstende Hinweise. Sie stoßen uns darauf: Gerade da, wo es dunkel ist und kein Funke Hoffnung mehr glimmt, wo menschliche Wärme fehlt, da kommt Gott hin, da kommt er zur Welt. Da wird er Mensch und zeigt damit, er weiß, was wir Menschen brauchen und dass er uns nicht aus der Hand gibt.

Bei unserem letzten Gottesdienst hier vor Corona habe ich behauptet: Bahnhofsmission ist Weihnachten pur. Denn damals im Stall ging es zu wie auf dem Bahnhof. Und die Menschen, die da hinkamen, hatten dann eine Mission, anderen Hoffnung und Liebe und Wärme zu schenken. Und dieses Jahr sehe ich das wieder bestätigt: Ja, Bahnhofsmission (Die Lutherstrasse) ist Weihnachten pur. Denn hier ist es wie im Stall von Bethlehem. Hier ist ein Zufluchtsort für Menschen vor Kälte und Dunkelheit. Ganz real, weil es hier hell und warm ist, was Sauberes zum Anziehen gibt, Kaffee und warmes Essen. Und weil man hier Menschen findet, die vom Kind in der Krippe angesteckt, Liebe und Wärme und Zuwendung verschenken und damit den Funken Hoffnung am Glimmen halten: Es gibt Hoffnung für diese Welt, es wird sich alles zum Guten wenden und fängt heute hier schon an. Und es gibt Hoffnung ganz speziell für mich, in meiner Dunkelheit und Einsamkeit und der Kälte um mich herum. Denn das menschgewordene Gotteskind ist bei mir und in mir und mit mir, alle Tage.

Amen.

Superintendentin Dr. Barbara Schwahn

  • Barbara Schwahn, Dr. (Superintendentin)